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21.03.2001Tages-AnzeigerBarbara ReyeDer innere Wecker der inneren Uhr

Der innere Wecker der inneren Uhr

Der Mensch verschläft rund ein Drittel seines Lebens. Doch Schlaf ist nur erholsam, wenn er im Einklang mit der inneren Uhr steht.

Von Barbara Reye

Psychiatrische Universitätsklinik, am Rande der Stadt Basel. In zwei kleinen Räumen der mehr als ein Dutzend Gebäude herrscht eine ungewöhnlich sterile Atmosphäre. Die Wände sind gegen Schall doppelt isoliert und die blickdichten Gardinen stets zugezogen. Die sechs Quadratmeter winzigen Zimmer sind von der Aussenwelt völlig abgeschottet. Kein Telefon, keine Zeitangaben, kein Radio, geschweige denn ein Fernseher.

Wer bei den wissenschaftlichen Experimenten im Basler Schlaflabor mitmacht, bei denen die natürliche Schlaf-Wach-Regulation erforscht wird, muss auf vieles verzichten. Die Probanden müssen zwei Tage und drei Nächte kontinuierlich auf dem Bett liegen bleiben: Schritte vor die Tür oder Blicke nach draussen sind untersagt - es könnte die Aussagekraft der Ergebnisse verfälschen.

Die einzige Abwechslung bietet die Betreuungsperson. Sie kommt hin und wieder herein, bringt ein paar Häppchen mit immer gleichem Kaloriengehalt, kontrolliert die Elektroden am Kopf, auf der Brust, am Bauch, an Oberschenkeln, Händen und Füssen, nimmt Speichel- und Urinproben mit und sorgt dafür, dass es den Probanden gut geht und sie zur richtigen Zeit wach bleiben.

"Es ist sicherlich nicht einfach, das durchzuhalten. Doch bisher hat den Versuch niemand abgebrochen. Immerhin kann man Bücher lesen und Musik hören", sagt der Schlafforscher Christian Cajochen von der Psychiatrischen Universitätsklinik. "Meistens haben wir Studenten, die sich auf die 2000 Franken am Ende des dreiwöchigen Versuchs freuen. Zurzeit suchen wir ältere gesunde Menschen sowie Patienten mit Altersdepression und -demenz, die neugierig sind, mehr über ihre innere Uhr und Schlafgewohnheiten zu erfahren."

219`000 Stunden Schlaf

Obwohl ein jeder im Durchschnitt ein Drittel seines Lebens mit Schlaf verbringt, ein 75-Jähriger also insgesamt rund 219`000 Stunden, gibt das sich ständig wiederholende biologische Phänomen weiterhin jede Menge Rätsel auf. Und die Schlafforscher tappen bei vielen Fragen - auch nach jahrzehntelanger Forschung - im Dunkeln. Wozu dient er tatsächlich? Und welche Vorgänge sind ausschliesslich ihm gewidmet? "Da es so komplex ist, stellt es für viele Schlafforscher eine besondere Herausforderung dar", sagt Anna Wirz-Justice, Leiterin der Abteilung Chronobiologie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel.

Alpträume und Atmungsaussetzer

Diejenigen, die nachts kein Auge mehr zukriegen und sich im Bett hin und her wälzen, wissen die Bedeutung der erholsamen Ruhephase besonders zu schätzen. Die Ursachen für Schlafstörungen können ganz unterschiedlich sein: Bisher sind 88 diagnostizierbare Kategorien bekannt - sie reichen von Ein- und Durchschlafstörungen über ruhelose Beine, plötzliches Aufschrecken, Schlafwandeln oder Alpträume bis hin zum Schlafapnoe-Syndrom, bei dem die Atmung während des Schlafs kurzfristig aussetzt.

Vor allem mit Hilfe des Elektroenzephalogramms (EEG), bei dem Hirnstromwellen kontinuierlich registriert werden, lässt sich der Schlaf im Labor genau überwachen. Die wohlgeformten Wellen- und scharfkantigen Zickzacklinien des EEG-Ausdrucks machen deutlich, was sich tatsächlich im Gehirn abspielt. Auf diese Weise stellten beispielsweise Forscher der Universität Zürich fest, dass tagsüber besonders stark beanspruchte Hirnregionen ein intensiveres Schlafmuster aufweisen. Solche regionalen Unterschiede sind auch von verschiedenen Säugetierarten bekannt. Besonders auffällig sind sie bei Delfinen: Ihr Schlaf ist zeitweise auf nur eine Hirnhälfte beschränkt, während die Hirnwellen der anderen Hälfte eher ein typisches Wachmuster zeigen.

Auch mit Hilfe der molekularen Genetik hat man neue Erkenntnisse über den Schlaf gewonnen. "Mittels Schlafentzug hat man herausgefunden, dass gewisse Gene dann ihre Aktivität verstärken", sagt Irene Tobler von der Universität Zürich, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie. Solche Grundlagenforschungen sind wichtig, um einst neue pharmakologische Ansätze für Schlafmittel ohne Neben- und Nachwirkungen zu finden.

Startknopf fürs Tagesprogramm

Die Basler Schlafforscher interessieren sich dagegen vielmehr dafür, auch ohne Medikamente Effekte auf den biologischen Schlaf-Wach-Rhythmus zu erzielen. So kann beispielsweise Licht unsere inneren Chronometer eichen. Es bringt die molekularen Wecker am Morgen zum Klingeln: Die ersten Strahlen der Morgendämmerung tragen dazu bei, den "Startknopf" für das "Tagesprogramm" zu drücken. Am Abend sorgt wiederum das Molekül Melatonin, ein Hormon der Zirbeldrüse, für Schläfrigkeit und löst zusammen mit anderen Stoffen allmählich die "Stopptaste" aus. Experimente unter den strengen Bedingungen der Psychiatrischen Universitätsklinik ergaben, dass sich durch diese beiden natürlichen Mittel die Zeiger der inneren Uhr sogar verstellen lassen - was vor allem bei Jet-lag-Geschädigten oder älteren Patienten mit seniler Bettflucht von Bedeutung ist.

Erstaunlich an der Studie ist, dass Licht sowie Melatonin die Körpertemperatur an Händen und Füssen beeinflussen. "Während Licht zu einer Verengung der Blutgefässe führt, bewirkt die Substanz Melatonin eine Erweiterung der Blutgefässe, also letztlich warme Füsse", sagt der Physiologe Kurt Kräuchi von der Psychiatrischen Universitätsklinik. "Melatonin ist eigentlich ein ideales Schlafmittel, da es im Gegensatz zu den klassischen Benzodiazipinen die Schlafstruktur nicht verändert, sondern nur die Einschlafbereitschaft erhöht." Doch vor einer ständigen Einnahme ist Vorsicht geboten: Da es nicht als ein Medikament zugelassen ist, gibt es keine Qualitätskontrollen des Präparats sowie langfristige Studien über die Toxizität und empfohlene Dosis.

Wer unter Einschlafstörungen leidet, sollte sich vielleicht auch altbewährter Mittel besinnen. So untersuchen die Basler derzeit die Wirkung von Bettsocken à la Kneipp, über die es bisher noch keine wissenschaftliche Untersuchung gibt. Auch bei dieser Studie können sich die Probanden das Geld nicht im Schlaf verdienen. Denn in ihren Wachphasen müssen sie regelmässig Fragebögen ausfüllen, Reaktionstests am Computer und Gedächtnistrainings über sich ergehen lassen - alles Übungen im Dienste der Forschung für einen erholsamen Schlaf.

Internationaler Tag des Schlafes

Etwa 20 bis 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden hier zu Lande unter Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unerholsamem Schlaf oder krankhafter Schläfrigkeit am Tage.

Um die Bevölkerung stärker für das Problem Schlafstörungen und ihre möglichen Folgen zu sensibilisieren und Apotheker und behandelnde Ärzte über praxisorientierte diagnostische Strategien und wirksame Therapiemassnahmen zu informieren, findet heute ein "Internationaler Tag des Schlafes" statt.

Diese Aufklärungsaktion wird vor allem durch das Worldwide Project on Sleep and Health (WWPSH) organisiert und in der Schweiz hauptsächlich von dem pharmazeutischen Unternehmen Sanofi-Synthelabo finanziert.

Auch der Tag wird zur Qual

Schlafstörungen werden oft als Bagatellbeschwerden abgetan. Doch auch am Tag sind die Folgen spürbar: Müdigkeit und Erschöpfung, Leistungsknicks, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit und depressive Verstimmungen sind keine Seltenheit. Häufig führt dies auch zu einem erhöhten Unfallrisiko.

Bereich: Forschung SchlafSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin