Zur Startseite
Zur Archiv-Übersicht
14.08.2001Neue Zürcher Zeitungekk.Heimkehr im Morgengrauen

Heimkehr im Morgengrauen

Eine Nacht lang unterwegs mit Taxifahrer Werner Ströbele

Werner Ströbele kennt die Stadt Zürich wie seinen Hosensack. Der 52-jährige Familienvater fährt seit 20 Jahren Taxi - fast ausschliesslich nachts. Brenzlige Situationen hat er noch kaum erlebt, der Taxifahrer weiss auch mit schrägen Vögeln umzugehen.

ekk. Das Funkgerät links vom Lenkrad piepst, und Werner Ströbele greift zur Lesebrille. Der Taxifahrer steht mit seinem Wagen am Bahnhof Stadelhofen. Das Piepsen signalisiert, dass das Warten ein Ende hat: eine Bestellung aus dem Gemeinschaftszentrum Wollishofen. Jetzt reagiert Ströbele schnell, denn die Gefahr ist gross, dass die Kundschaft die Geduld verliert, wenn das Taxi nicht innert fünf bis zehn Minuten an Ort und Stelle ist, und dann am Mythenquai nach einem andern Wagen Ausschau hält. Ströbele gibt Gas.

Plaudern und Zeit totschlagen

In Wollishofen platzt der Taxifahrer in ein Fest, das sich gerade auflöst. Den Wagen bestellt hat ein deutsches Pärchen, das lockerer Stimmung ist. Die beiden wollen zum Hotel Franziskaner im Niederdorf. Weit genug für einen Schwatz über Zürich und die Welt. Wann das nächste grosse Volksfest stattfinde, wollen die beiden wissen, und ob er einen Tipp habe für ein lauschiges Badeplätzchen am See. Ströbele führt mit den Touristen ein angeregtes, aber oberflächliches Gespräch, das in der engen Altstadtgasse endet, wo Passanten dem Taxi Platz machen, während sie an die Scheiben und aufs Autodach klopfen.

Mitternacht ist in dieser Freitagnacht vorbei, und der Fahrer kehrt via Limmatquai zurück zum Bahnhof Stadelhofen. Nun heisst es Zeit totschlagen. Im Sommer laufe das Taxigeschäft noch schlechter als sonst, sagt Ströbele. Die Leute betrachteten Taxifahren nach wie vor als Luxus, in Zürich gebe es zu viel Konkurrenz, viermal mehr Taxis als offizielle Standplätze, und es würden immer mehr zugelassen. «Wischen», das heisst das Herumfahren mit dem Ziel, Fahrgäste zufällig aufzugabeln, sei verboten, und Warten sei nur an offiziellen Abstellplätzen erlaubt, sonst riskiere man Bussen. Am meisten Umsatz innert kürzester Zeit gibt es, wenn über Zürich überraschend ein Gewitterregen niedergeht und keiner einen Schirm dabeihat.

Hundehaare auf dem Taxisitz

Drei Jugendliche quetschen sich auf den Rücksitz. Sie wollen nach Leimbach, anschliessend nach Adliswil. Die Frau hat einen jungen Hund bei sich, für den sich Ströbele interessiert. Acht Wochen sei das Tier alt, ein Rottweiler, rapportiert die Besitzerin stolz. Ob sie wisse, dass nicht jeder Taxifahrer Hunde mitnehme, fragt der Mann am Lenkrad. Das kann die junge Frau nicht verstehen. Wenn ein Hund Haare lasse, müsse der Halter nach dem Aussteigen halt den Sitz putzen, ganz einfach. Auf dem Rückweg in die Stadt fährt das Taxi in der Albisstrasse an zwei schwankenden Gestalten vorbei. Sie winken, überlegen es sich dann aber doch anders. Ströbele ist darüber nicht unglücklich. Die meisten Kunden seien anständig und nett, sagt er, doch auch mit den andern hat er so seine Erfahrung: Betrunkene, die unkontrolliert herumtorkeln und aussehen, als müssten sie sich demnächst übergeben, nimmt er nicht mit. Einst hinterliess ein Fahrgast, der mehr als ein Glas über den Durst getrunken hatte, einen platschnassen Autositz. Die Reinigung hatte für Ströbele einen Verdienstausfall zur Folge.

Abstecher in die Klubszene

Der 52-jährige Ehemann und Vater von zwei Kindern arbeitet aus wirtschaftlichen Gründen vorwiegend nachts. Ströbeles Lohn ist vom Umsatz abhängig, «auch bei mir flattern Ende Monat die Rechnungen ins Haus». Besonders übers Wochenende sei in den Nachtstunden das beste Geschäft zu machen. Angestellt ist er von einem Kleinunternehmer, welcher der Funkzentrale der «Züritaxi» angeschlossen ist und dieser eine monatliche Anschlussgebühr abliefert. Da er weitgehend selbst bestimmen kann, wann er fahren will, ist Nachtarbeit für ihn kein Problem. Stehen Aktivitäten im Fussballklub oder in der Genossenschaft an, wo er wohnt, passt Ströbele seine Arbeitszeit an.

Der bärtige Mann bezeichnet sich selbst als «Ureinwohner von Zürich», der viele Schleichwege kennt und nur selten einen Strassennamen nicht präsent hat, Strassen-, Brücken- und Wegbezeichnungen gibt es in Zürich über 2000. Taxifahren gelernt hat er vor 20 Jahren und den Beruf danach als Nebenjob ausgeübt. Als er vor einiger Zeit seine Stelle im Telefonmarketing verlor, ist der Gelegenheitsjob zum Haupterwerb geworden.

Ströbele kehrt mit seinem Wagen zurück in die City. Der letzte Zug ist am Bahnhof Stadelhofen längst abgefahren, deshalb fährt er zum Standplatz beim Rathaus. Am Limmatquai hat's einen Stau, Idioten gebe es immer, die ihr Auto spätnachts vor dem «Gran Café» vorführen. Innert drei Minuten ist er beim Rathaus auf die vorderste Position gerückt. Ein junges Paar steigt ein und will an die Hardturmstrasse in eine Disco. Ströbele weiss Bescheid, in der Klubszene kennt er sich aus. Über Partys, die viel Volk anziehen und schnelles Geld versprechen, informiert er sich in der Zeitung, und zum Lesen bleibt während des Wartens genug Zeit.

Nach dieser Fuhre muss Werner Ströbele in die Pause, um die vorgeschriebene Ruhezeit einzuhalten. Den Wagen parkiert er am Rande der Altstadt, ein bisschen Beinevertreten tut gut, und ausserdem muss er auf die Toilette. Auch dies ist ein Problem des Taxifahrers: Öffentliche Pissoirs seien oft geschlossen oder schmutzig, mittlerweile wisse er, welche Toiletten zumutbar seien. In der Not bleibt nichts anderes übrig, als hinter einen Busch zu verschwinden. Im Niederdorf kennt Ströbele ein Hotel, dessen Snackstand zu seinen Stammlokalen gehört. Hier genehmigt er sich ein Eingeklemmtes und wechselt an der Theke einige Worte mit der Bedienung. Wer regelmässig nachts arbeitet, ist mit den andern Nachtarbeitern per du.

Auf die Frage nach brenzligen Situationen kommt Werner Ströbele, der sonst viel zu erzählen hat, wenig in den Sinn. Einmal seien drei Typen ins Auto gestiegen, hätten ihn in die Agglomeration und dort in ein Industriegebiet dirigiert. Sein Herz klopfte bis zum Hals, bis sich herausstellte, dass die drei tatsächlich in der Abgeschiedenheit wohnten. Die Angst, meint er, müsse man in ein vernünftiges Verhältnis setzen zu der Zahl von Überfällen auf Taxifahrer. Und das seien, verglichen mit der Anzahl Fahrten, dann doch relativ wenige. Einen Baseballschläger oder eine Waffe unter dem Sitz mitzuführen, sei Blödsinn.

Auf der Suche nach Kundschaft

Am Seilergraben springt ein Fuchs über die Strasse. Ströbele, der in dieser lauen Sommernacht noch keine wirklich einträgliche Fahrt ergattern konnte, entschliesst sich erneut zum Standplatzwechsel. Nachdem er eine Viertelstunde lang beim Kaufleuten auf Kunden gewartet hat, steigen zwei ein. Die beiden jungen Männer scheinen bereits einiges intus, aber schlechte Laune zu haben. Sie lassen sich um einige Hausecken an den Hallwylplatz fahren. Neun Franken kostet die Fahrt. Nach einigen weiteren Fahrten entschliesst sich Werner Ströbele, die Nachtschicht abzubrechen und sein Glück am nächsten Morgen mit Fahrten an den Flughafen zu versuchen. «Wenn mir am Standplatz vor lauter Warten die Augen zufallen, ist es Zeit, nach Hause zu gehen.»

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Zürich und Region, 14.August 2001, Nr.186, Seite 41

Bereich: NachtarbeitSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin