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30.06.2002Neue Zürcher ZeitungDavid HesseDie Rettung der Milchstrasse

Die Rettung der Milchstrasse

Künstliches Licht kann die Umwelt belasten. In Tschechien ist das weltweit erste Gesetz zum Schutz der Dunkelheit erlassen worden. Nun tragen die Freunde des Dunkels ihren Kampf auf die internationale Ebene. Auch in der Schweiz sollen Lichter gelöscht werden.

Von David Hesse

Sollten Sie demnächst einmal nachts die Burg Spielberg im südmährischen Brünn besichtigen, so achten Sie unbedingt auf den dort möglicherweise im Schlosspark auf der Lauer liegenden Sternforscher Jan Hollan. Der Astronom des Brünner Niklas-Copernicus Observatoriums will feststellen, ob die Burg tatsächlich, wie er befürchtet, ohne Grund die ganze Nacht hindurch beleuchtet wird. «Manche Leute glauben», sagt der 47-jährige Hollan fröhlich, «um zwei Uhr würden die Lampen ausgeschaltet. Andere behaupten andere Dinge. Nun, ich werde es herausfinden.»

Herr Hollan also wird sich nächtens auf die Lauer legen, wird beobachten und berechnen, wie viel Licht zu welchen Kosten während wie vielen Stunden sinnlos in die Nacht gepumpt wird. Anderntags wird er dem Brünner Oberbürgermeister einmal mehr in einem Brief erklären, dass diese Burgbeleuchtung in ökologischer und ökonomischer Hinsicht ein grandioser Unfug sei und überhaupt seit dem 1. Juni in der gesamten Tschechischen Republik verboten. Jan Hollan und Oberbürgermeister Petr Duchon kennen sich bestens, sie sind bereits gemeinsam zur Schule gegangen.

Für ganz Tschechien ist mit der neuen Luftreinhalteverordnung am 1. Juni ein von Jan Hollan formuliertes Verbot der sogenannten «Lichtverschmutzung» verbindlich geworden. Wer künftig den tschechischen Nachthimmel grundlos mit künstlichem Licht aufhellt, wer seine Verandabeleuchtung über die horizontale Ebene hinaus abstrahlen lässt oder seinen Nachtclub mit einer Lasersäule, einem sogenannten Sky-Beamer, bewirbt, der muss mit einer Busse zwischen 20 und 7000 Franken rechnen.

Die tschechische Verordnung, vom Präsidenten Václav Havel Ende Februar persönlich abgesegnet, ist das weltweit erste Landesgesetz zum Schutze der Dunkelheit. Sterngucker, Mystiker und Umweltschützer jubilieren, von einem «gewaltigen Sprung nach vorne» im Kampf gegen die «Lichtverschmutzung» sprach der US-Astronom David L. Crawford. Er tat dies im März in Tucson, Arizona, am Jahrestreffen der International Dark Sky Association, einer seit vierzehn Jahren für die Verdunkelung des Nachthimmels eintretenden Gesellschaft mit Hauptsitz in den USA.

Jan Hollan ist eines von rund 8900 Mitgliedern der International Dark Sky Association und Kopf der tschechischen Sektion. Die Gesellschaft entstand 1988 als primär astronomische Vereinigung, ihre Botschaft aber leuchtet inzwischen auch Nichtwissenschaftern ein: Verdunkelt die Städte, sonst verschwinden die Sterne! In der Lombardei unterschrieben vor drei Jahren 25'000 Bürgerinnen und Bürger eine Petition, die ein Regionalgesetz gegen jegliche Form der «Lichtverschmutzung» nach sich zog. Ähnliche Regelungen finden sich im US-Bundesstaat Iowa und seit kurzem auch in Katalonien.

Lichtblick für Zürich

«Viele Menschen», sagt Jan Hollan, «realisieren plötzlich - etwa bei einer sternklaren Nacht im Gebirge -, dass aus ihrem Leben etwas Wunderbares verschwunden ist.» Und Philipp Heck, Kosmochemiker am Institut für Erdwissenschaften der ETH Zürich und ehrenamtlicher Präsident der helvetischen Dark-Sky-Sektion, doppelt nach: «Der Sternenhimmel ist eine Inspirationsquelle, die derzeit verloren geht. Alle unsere frühen Erkenntnisse zu Natur, Physik und Philosophie wären ohne das Betrachten der Sterne und Planetenbahnen unmöglich gewesen.»

Nun ist die Menschheit über ihre frühen Anfänge glücklicherweise hinaus, und die Frage, weshalb nicht einfach hinaus aufs Land zieht, wer jede Nacht die Milchstrasse sehen will, scheint legitim. Hat nicht Frank Sinatra unbekümmert die «City that never sleeps» besungen? Gehören nicht hell erleuchtete Strassen und der über ihnen orange wabernde Nachthimmel zur modernen Metropolis? Dark-Sky-Präsident Heck, ein sportlich aussehender 29-Jähriger mit kurzem Haar und kantiger Brille, schüttelt den Kopf. Er wolle dem Nachtleben nicht den Saft abdrehen, sondern ihm vielmehr eine zusätzliche Dimension verleihen, erklärt er.

Heck ist überzeugt, dass jeder in einer Stadt wie Zürich gleichzeitig das Nachtleben geniessen, die Milchstrasse sehen und sicher nach Hause kommen könnte, wenn man nachts bloss alle Fassaden-Beleuchtungen ausschalten und die übrigen Lichter mit Blenden abschirmen würde. «Wir sind nicht gegen Lampen», sagt er, «doch sollte die Nacht nicht zum Tag hochgeputscht werden.»

Punkto «Lichtverschmutzung» sei Zürich im Übrigen eine durchaus annehmbare Stadt, sagt Heck, vor allem, was die Beleuchtung der Strassen angehe. Ein Dorn im Auge der Dark-Sky-Aktivisten sind hier lediglich die Kugellampen an der Seepromenade, die mehr als die Hälfte ihres Lichts nach oben in den Nachthimmel vergeuden. Bessere, nach den Kriterien der International Dark Sky Association konzipierte Lampen würden ihr Licht sinnvoll und zielgerichtet abstrahlen, weniger Energie fressen, weniger kosten und dabei den Nachthimmel in Frieden lassen.

In Tschechien sind seit dem 1. Juni laut Jan Hollan bereits erste Veränderungen sichtbar, allerdings nur, «wenn man weiss, wo man suchen muss». Ein Entertainment-Center in Brünn hat seinen Sky-Beamer ausgeschaltet, in einer ostmährischen Kleinstadt wird der Friedhof nachts nicht mehr durchgehend beleuchtet, und mit einigen amerikanischen Casinos «bin ich in Kontakt», sagt Hollan. Der Sternforscher ist, so scheint es, persönlich verantwortlich für die Umsetzung der von ihm verfassten Paragraphen. «Kleine Dinge ändern sich, das Umdenken beginnt allmählich», murmelt er ins Telefon. Allfällige Licht-Sünder anzeigen will Hollan nicht.

Schwarze Alpen

Auch Philipp Heck in der Schweiz will nicht prozessieren, sondern «informieren und Impulse geben». Gegner habe die Dark-Sky-Bewegung eigentlich wenig. «Umweltschützer müssen gegen wirtschaftliche Interessen kämpfen, unsere Ideen aber sind kompatibel mit der wirtschaftlichen Entwicklung.» So zeigte sich das Zürcher Amt für Städtebau durchaus interessiert, als Dark Sky Switzerland vor kurzem wegen der für die Bahnhofstrasse geplanten Bodenleuchten, die fast alles Licht in den Himmel verpufft hätten, intervenierte.

Derart einsichtig sind nicht alle. Die SBB setzen bei der Umgestaltung ihrer 620 Regionalbahnhöfe auf den sogenannten «Rail-Beam», eine von unten angestrahlte acht Meter hohe Säule, welche die Bahnhöfe indirekt ausleuchten soll. Dabei schiesst laut Dark Sky Switzerland ein Grossteil des Lichts vorbei an der Säule und hoch in den Nachthimmel, wo es nächtlichen Vogelzügen, die sich an natürlichen Lichtquellen orientieren, zum Verhängnis werden kann.

In der Dark-Sky-Bewegung finden sich Tierschützer und Romantiker, Sterngucker und Landschafts-Puristen. Wenn etwa Berge zu Tourismuszwecken beleuchtet werden, solidarisieren sich währschaft verärgerte Heimatschützer mit scheinbar weltfremden Astronomen. Mit unseren Bergen solle kein Zirkus veranstaltet werden, die habe der Herrgott schwarz und schwer ins Feld gestellt, sie sollten daher dunkel bleiben! In der Schweiz darf der Pilatus nach einem Bundesgerichtsurteil von 1997 beleuchtet werden, aus den künstlich gehauenen Felsenfenstern des Stockhorns, des beliebten Ausflugsziels am Eingang zum Berner Oberland, strahlt überdies buntes Licht aus Leuchtstoffröhren.

48 Bündner Grossräte haben am En-de der diesjährigen Maisession ein theatralisch formuliertes Postulat zur «Bewahrung der Bündner Nacht» verfasst. Die Szene hat so ihre Beziehungen: Ein Dark-Sky-Aktivist kennt einen Bündner Grossrat, und Jan Hollan ging mit dem Brünner Oberbürgermeister zur Schule. Hollan wird weiter lobbyieren, er hofft auf ein Gesetz auf gesamteuropäischer Ebene. Er ist sich sicher, dass seine Ideen bald auf breite Akzeptanz stossen werden. «In zwanzig Jahren werden wir alle besser leben», sagt er. Denn dort, wo bereits sinnvolle Lichter montiert seien, zählten alle sehr zufrieden die Sternschnuppen am Nachthimmel.

NZZ am Sonntag, Ressort Hintergrund, 30. Juni 2002, Nr.16, Seite 23

Kongress fürs Dunkel

Die Schweizer Sektion der International Dark Sky Association zählt derzeit 106 Mitglieder. Unter der Schirmherrschaft der schweizerischen Unesco-Kommission findet vom 7. bis 8. September 2002 das internationale Dark Sky 2002 Symposium im Verkehrshaus Luzern statt. Als Redner sind Dr. Jan Hollan, Dr. David L. Crawford und andere zugegen. Anmeldung erfolgt unter: http://www.darksky.ch und http://www.darksky.org.

NZZ am Sonntag, Ressort Hintergrund, 30. Juni 2002, Nr.16, Seite 23

Bereich: AlltagSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin