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20.09.2002Neue Zürcher ZeitungC.Bi.Kakophonische Genfer «Nocturne»

Kantonale Abstimmung vom 22. September

Kakophonische Genfer «Nocturne»

Links-linkes Zerwürfnis um Ladenöffnungszeiten

Das Genfer Parlament hat längere Ladenöffnungszeiten und einen Abendverkauf («Nocturne») pro Woche beschlossen. Die Bürgerlichen und die gemässigten Linken unterstützen die Vorlage, nachdem sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf einen neuen Gesamtarbeitsvertrag geeinigt haben. Doch die radikale Linke und die Grünen laufen Sturm gegen das Gesetz - und damit gegen die Konkurrenz im linken Lager.

C. Bi. Genf, 19.September

Die Genfer stimmen am Wochenende über einen Gesetzesentwurf ab, der dem einheimischen Gewerbe die Möglichkeit geben soll, sich besser gegen die Konkurrenz ennet der Landesgrenze zu behaupten. Einkaufen soll auf Kantonsgebiet künftig am Donnerstagabend bis 21 Uhr und am Samstag bis 18 Uhr gestattet sein, was einer Verlängerung um je eine Stunde entspräche. Dafür müssten die Geschäfte am Montag, am Dienstag und am Mittwoch bereits um 19 Uhr statt um 19.30 schliessen.

Die Verabschiedung der Gesetzesvorlage wurde erst möglich, nachdem die Gewerkschaften und das Gewerbe nach langem Ringen endlich einen neuen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen hatten. Dieser betrifft an die 6000 Verkäuferinnen und Verkäufer, die bisher keinem Kollektivvertrag unterstanden. Die Gewerkschafter betrachten den Abschluss dieses Vertrags als grossen Erfolg, der besonders unwürdige Anstellungsbedingungen, wie das Arbeiten auf Abruf, verunmöglicht. Das Gesetz wird deshalb nicht nur von den Bürgerlichen, sondern auch von der gemässigten Linken und den Gewerkschaften, mit Ausnahme jener des öffentlichen Diensts, unterstützt.

Ganz anders sehen das die radikaleren Linken von der Alliance de gauche, einschliesslich der Partei der Arbeit, die das Referendum ergriffen und überraschenderweise auch die Unterstützung der Grünen Partei erhalten haben. Sie argumentieren, die Gewerkschaften hätten den Arbeitgebern und vor allem den grossen Geschäftsketten überrissene Konzessionen gemacht, die durch den Kollektivvertrag nicht aufgewogen würden. Denn der Gesamtarbeitsvertrag gelte nur drei Jahre, das Gesetz hingegen unbefristet. Durch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten würden vor allem den Verkäuferinnen mit Familie unzumutbare zusätzliche Mühen aufgebürdet. Zudem stärke das neue Gesetz grosse Geschäfte mit vielen Angestellten gegenüber den kleinen Läden. Schliesslich wehrt sich die Opposition gegen eine weitere «Flexibilisierung» der Arbeitszeiten, da dadurch auch der soziale Zusammenhang gestört werde.

Die gewerkschaftlich orientierte Linke betrachtet dies als Fundamentalopposition. Sie erinnert en passant daran, dass Genf neben Lausanne in der Schweiz das restriktivste Regime hat, was Ladenöffnungszeiten angeht. Auch wirft sie der radikalen Linken vor, unter dem Deckmantel der Verteidigung des kleinen Manns und der kleinen Verkäuferin eine Strategie zu verfolgen, bei der es auch um handfeste Machtpolitik gehe. Tatsächlich ist die Kampagne im Wesentlichen zu einem Schlagabtausch zwischen «links» und «ganz links» geworden, dabei geht es ein Stück weit um die Frage, wer die Hegemonie im linken Lager beanspruchen darf: die Gewerkschaften, die SP, die Alliance de gauche oder die Grünen, die sich unter dem als Globalisierungskritiker bekannten Nationalrat Patrice Mugny weit links positioniert haben.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Inland, 20.September 2002, Nr.218, Seite 16

Bereich: LadenschlussSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin