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10.04.2003WeltwocheVolker StollorzWenn der Sandmann nicht kommt

Wenn der Sandmann nicht kommt

Volker Stollorz

Die Zahl der Menschen, die sich nachts in ihren Betten wälzen, nimmt zu. Die Forschung kommt dem Geheimnis der Schlaflosigkeit erst langsam auf die Spur. Erste Erkenntnis: Die Schule sollte eine halbe Stunde später beginnen.

Dem Erfinder der Glühbirne galt Schlafen als Zeitverschwendung. Ein «Narr» sei, wer zu viel schlafe, verkündete Thomas Edison. «Die meisten Leute essen hundert Prozent mehr als nötig und schlafen hundert Prozent mehr, als sie brauchen», dozierte der ruhelose Erfinder: «Diese hundert Prozent mehr machen sie ungesund und ineffizient.» Der extreme Kurzschläfer nahm dabei sich selbst zum Vorbild. Eine mit künstlichem Licht erhellte Nonstop-Gesellschaft pries Edison als Fortschritt. Diese Vision nahm auch Lenin sofort für die Glühbirne ein: Er hoffte, die Menschen mit weniger Schlaf und mehr Arbeit produktiver zu machen.

Doch Edison irrte, sagt die moderne Schlafforschung. Zwar gibt es eine ganze Reihe berühmter Kurzschläfer, Churchill etwa oder auch Napoleon, der gesagt haben soll: «Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot.» Doch insgesamt können nur zwei Prozent der Bevölkerung ihrem Körper zumuten, wie Edison jede Nacht weniger als fünf Stunden zu schlafen. Dauerhafter Schlafentzug führt bei ihnen zu schweren Nebenwirkungen. Letztlich ist Langschläfertum auch gar nicht unvereinbar mit Leistung: Albert Einstein soll bis zu zwölf Stunden täglich verschlafen haben und wurde dennoch zum berühmtesten Physiker des zwanzigsten Jahrhunderts.

Hektik, Stress und Schichtarbeit, aber auch Nachtleben und Internet lassen immer mehr Menschen sich rast- und schlaflos in ihren Betten wälzen. «Die unausgeschlafene Gesellschaft» heisst ein Bestseller, in dem Stanley Coren eindringlich vor den verheerenden Folgen chronischer Müdigkeit warnt. Nicht nur, dass Millionen Betroffener mit «nicht erholsamem Schlaf», wie Mediziner heute sagen, davon träumen, endlich wieder einmal durchzuschlafen. Auch Katastrophen wie der Atomunfall in Tschernobyl, die «Challenger-Explosion», das Tankerunglück der «Exxon Valdez» und der tägliche Unfalltod auf den Strassen, so Coren, seien die Folge angehäufter Schlafdefizite. Statistiken aus den USA zeigen, dass bis zu vierzig Prozent aller Autounfälle durch Müdigkeit oder kurzes Wegnicken auf der Autobahn verursacht werden. Und selbst wenn kein akuter Unfall droht: Menschen mit angehäuften Schlafdefiziten treffen in entscheidenden Momenten krasse Fehlentscheidungen. Um das zu verhindern, kämpfen Manager von Weltfirmen längst mit dem Hormon Melatonin gegen den Jetlag oder werfen bei Müdigkeit Provigil ein, um länger aufmerksam zu bleiben. Eigentlich wäre diese Modepille nur bei schweren Fällen von Narkolepsie zugelassen – einer krankhaften Schlafstörung, bei der die Patienten selbst tagsüber ständig wegnicken. Ihnen hilft das Medikament, wenigstens stundenweise wach zu bleiben.

Ist das Gefühl allgemeiner Unausgeschlafenheit eine neue Geissel der Menschheit, oder gab es Schlafstörungen schon immer? Unter Schlafexperten ist das umstritten. Als Daumenregel wird immer wieder kolportiert, dass Menschen heute durchschnittlich ein bis zwei Stunden weniger schlafen als die Landbevölkerung vor hundert Jahren. Doch aussagekräftige Vergleichsdaten aus früheren Zeiten fehlen, weil der Schlaf den Forschern lange als langweilig galt. Erst 1971 wurde das erste Schlaflabor eingerichtet, in dem sich die Angewohnheiten von Schlafgestörten systematisch beobachten liessen. Selbst die Feldforscher unter den Anthropologen haben das Studium des Schlafverhaltens bei Naturvölkern, nun ja, schlicht verschlafen. Obwohl doch der Mensch immerhin ein Drittel des Lebens im Bett zubringt.

«Rastlose Rundumgesellschaft»

Erst heute zeichnet sich eine «Anthropologie der Nacht» ab. Und siehe da: Das westliche Schlafmuster, bei dem Menschen recht sklavisch sieben bis neun Stunden am Stück flach im Bett liegen, ist weltweit eher die Ausnahme. Bei Naturvölkern schlafen die Menschen unregelmässiger und tendenziell eher in zwei Schichten. Offenbar pendelte der Steinzeitmensch in der Nacht ständig zwischen Zuständen des Wachseins und des Schlafens hin und her – vermutlich, um den Gefahren der Nacht zu trotzen. Es ist daher ein moderner Gedanke, nachts um drei Uhr hochzufahren und verärgert auszurufen: So ein Mist! Ich kann es mir nicht leisten, wach zu liegen. «Ein guter Schläfer muss nicht die ganze Nacht durchschlafen», sagt der Schlaftherapeut Michael Krugmann aus New York. Man könne lernen, sich nach dem Aufwachen zu entspannen und rasch wieder einzuschlafen. Es gehe darum, «den nächtlichen Wechsel von Schlaf- und Wachphasen als umkehrbar zu begreifen». Was als guter Schlaf gilt, ist von kulturellen Vorstellungen abhängig.

Allen Schlafproblemen zum Trotz sind wir in Europa von der «rastlosen Rundumgesellschaft weit entfernt», wie jüngst eine repräsentative Umfrage in Deutschland zeigte. Danach schlafen die Deutschen durchschnittlich 8 Stunden und 22 Minuten. Die Leiterin der Studie, die Soziologin Uta Meier von der Universität Giessen, hatte eigentlich erwartet, dass «Schlafstörungen im Vergleich zu den fünfziger Jahren zugenommen haben». Dem sei aber nicht so: Nach dem Krieg hätten die Menschen oft existenziellere Sorgen gehabt und genauso gut oder schlecht geschlafen wie heute. «Das natürliche Schlafbedürfnis setzt sich auch in einer hektischen Gesellschaft wie der unseren durch», sagt die Soziolgin Meier. Es herrsche «erstaunliche Normalität».

Dennoch: Immerhin jeder Fünfte klagt über Ein- oder Durchschlafprobleme. Den besten Schlaf finden Beamte. Mit einer sicheren Stelle schlummert es sich offenbar leicht. Am andern Ende der Skala sind die Hausfrauen, von denen sich rund dreissig Prozent schlaflos in den Kissen wälzen – weit mehr als unter berufstätigen Frauen.

Die Befunde decken sich mit Zahlen aus der Schweiz. Rund zwanzig Prozent aller Patienten von Hausärzten klagen darüber, nicht ein- oder durchschlafen zu können und sich deswegen tagsüber häufig schlapp und nicht erholt zu fühlen. Schleppen sich die Geplagten über Monate hin müde durch die Woche, sprechen Schlafmediziner von chronischen Schlafstörungen «mit Krankheitswert». Allerdings finden nur wenige Betroffene den Weg zum Arzt. Dabei kann nur der Mediziner herausfinden, ob der Ratsuchende an einer der 87 bekannten schweren Schlafstörungen leidet, von denen fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung dauerhaft betroffen sind. Manche ahnen nicht einmal, dass nächtliches Aufwachen der Grund für ihre Dauermüdigkeit ist.

Aussetzender Atem

Eine der häufigsten Schlafstörungen ist die Schlafapnoe, von der vor allem Übergewichtige betroffen sind. Häufig setzt bei ihnen der Atem im Schlaf kurz aus, weil sich die Atemwege verengen und den Sauerstofftransport in die Lunge blockieren. Ohne es bewusst mitzukriegen, erwachen die Betroffenen sekundenweise, um die Atmung wieder in Gang zu setzen. So wachen die Patienten am Morgen gerädert auf, ohne zu wissen warum. Das kann gefährlich werden, wenn die Betroffenen ohne ärztlichen Rat Schlafmittel einnehmen. Denn Schlafmittel können bei Apnoikern das Aufwachen verhindern und so tödliche Atemstillstände verursachen.

Mitunter steckt hinter der Schlaflosigkeit keine körperliche Krankheit, sondern psychosozialer Stress. Wenig erholsamen Schlaf finden ausgerechnet selbständig Erwerbende. Diese hätten oft ein «extrem hohes Anspruchsniveau» und könnten einfach «nicht mehr abschalten», sagt Dieter Riemann von der Freiburger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik. Mancher arbeite jahrelang 16 Stunden pro Tag ohne grosse Pause und verlange abends dann von seinem Körper, sofort einzuschlafen. Oft funktioniert das nur mittels Betäubung durch Alkohol, Schlaftabletten oder Fernsehen. «Das geht vielleicht mit 25, aber mit 40 Jahren schafft der Körper das nicht mehr», sagt Riemann.

Den Ausweg aus dem Teufelskreis der Schlaflosigkeit ebnet in diesen Fällen oft erst eine Verhaltenstherapie. An deren Beginn steht ein genaues Protokoll des Tagesablaufes. Wer sein «Schlafpensum total verplant, der kann keinen erholsamen Schlaf finden», ist Riemann überzeugt. Der Schlaf unterliege «nicht der Willkür, sondern unwillkürlichem Verhalten». In hartnäckigen Fällen helfe manchmal eine paradoxe Intervention: Der Schlaflose wird zum Wachbleiben genötigt, bis er aufhört, sich zum Einschlafen zu zwingen.

Bei Schlafstörungen im Alter ist hingegen eher die «Unterstimulation» die Ursache. Sozial isoliert, womöglich ohne Partner, allein mit sich und der Wohnung, gerät die Tagesstruktur allmählich durcheinander. Schon gegen 21 Uhr treten die Unterforderten dann eine «Flucht in den Schlaf» an, so Riemann. Beim Arzt klagten sie später verzweifelt, dass sie «drei Stunden brauchen, um einzuschlafen». Wenn der dann Schlafmittel oder ein tägliches Gläschen Rotwein verschreibe, könne dies ein «ernster Kunstfehler» sein, warnt Riemann. Auf die richtige Spur führe allein die Frage: «Wann gehen Sie denn ins Bett?» Der Königsweg zur Nachtruhe sei in diesem Fall meist kontrollierter Schlafentzug und mehr frische Luft.

Lerchen und Eulen

Viele träumen vom erholsamen Schlaf. Doch warum geht es eigentlich nicht ohne? «Darauf kann ich Ihnen keine Antwort geben», räumt die renommierte Schlafforscherin Anna Wirz-Justice von der Universität Basel ein. Alle Säugetiere schlafen: Pferde zwei, Riesenfaultiere zwanzig Stunden täglich. Menschenaffen kommen im Schnitt auf neun Stunden pro Tag. Gemäss einer unbewiesenen evolutionären Theorie hängt die Schlafdauer davon ab, wie gefährdet die Tierart im Schlaf ist und wie viel Zeit sie für die wichtigen Dinge des Überlebens braucht – also etwa für die Nahrungsaufnahme. Beispiel Faultier: Es hängt für Feinde unerreichbar an einem Ast und pflückt die Nahrung in den Kronen der Bäume. Urpferde dagegen waren wie Antilopen ständig auf der Flucht vor Raubtieren. Das hält sie bis heute auf Trab.

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Zusätzlich erfüllt der Schlaf auch restaurative Funktionen. Der Mensch schläft sich buchstäblich gesund – ohne erholsamen Schlaf wird er krank und depressiv. Radikaler Schlafentzug ist tödlich: Mäuse sterben nach spätestens 17 Tagen. Neuesten Erkenntnissen zufolge müssen selbst Fruchtfliegen ihr Nickerchen halten, obwohl sie nur sechzig Tage leben. Des Nachts verharren sie oft bewegungslos. Raubt man ihnen diesen Schlaf, sterben die Fliegen nach rund sechzig Stunden. Der Schlafforscher Paul Shaw vom neurowissenschaftlichen Institut in San Diego hat als Erster das Verhalten einer Fliegenmutante beobachtet, die schon nach zehn Stunden Schlafentzug tot umfällt. «Wenn wir verstehen, was den Schlafbedarf dieser Fliegen ausmacht, können wir das Rätsel der biologischen Funktion des Schlafes vielleicht lüften», sagt Shaw.

Nun sind Menschen keine Mäuse, geschweige denn Fliegen. Wir träumen in Bildern und kennen, anders als Insekten, den Tiefschlaf mit raschen unwillkürlichen Augenbewegungen (REM-Schlaf). Zwar teilen wir mit den Fliegen die Erbanlagen der biologischen Uhren, doch gestehen diese dem Menschen mehr Freiheit zu. So verzeiht der Körper, wenn wir etwa aus Liebeskummer wach liegen oder im Liebestaumel über Wochen die Nacht zum Tag machen. Auch die hektische Schlussphase einer Doktorarbeit, wo häufig Tag und Nacht durchgearbeitet wird, steckt ein junger Körper meist locker weg.

Allerdings ist die Befreiung vom Diktat der inneren Uhr relativ. Das erlebt jeder nach einer langen Flugreise, wenn er sich total erledigt, aber hellwach im Hotelbett wälzt. Der Körper braucht Zeit, um sich auf fremde Zeitzonen einzustellen. Isoliert man Menschen dagegen über Wochen im Dauerdämmerlicht, folgen sie dauerhaft ihrer eigenen Uhr. Ohne äussere Reize wie Licht richtet sich jeder einen eigenen Tagesablauf ein: Manche leben einen 24-Stunden-Tag, andere tendieren zum 25-Stunden-Rhythmus. Die Zyklusdauer wird von den Genen bestimmt. Vor zwei Jahren fanden Forscher in Familien mit einem abnorm verkürzten Schlafrhythmus ein mutiertes Gen namens Per2, das die Periodenlänge auf 23,3 Stunden verkürzt – zum Leidwesen der Patienten, die meist schon nachmittags müde werden. Dass Schlafgewohnheiten vom Genotyp abhängen können, zeigt sich oft schon in frühester Kindheit, wo mancher Knirps die müden Eltern bis spätabends auf Trab hält. Die Schweizerin Anna Wirz-Justice hat zusammen mit dem Münchner Chronobiologen Till Roenneberg die Menschen in sieben Chronotypen eingeteilt. Die Typen unterscheiden sich hauptsächlich in der bevorzugten Einschlaf- und Aufwachzeit. Extreme Frühaufsteher heissen «Lerchen» (zwei Prozent der Bevölkerung) – extreme Morgenmuffel werden «Eulen» genannt (sechs Prozent). Der Rest liegt irgendwo dazwischen. Allerdings gehört ein recht grosser Anteil der Menschen (48 Prozent) zu jenen Chronotypen, die tendenziell eher nachtaktiv sind und morgens lieber ausschlafen.

Lernen im Schlaf

«Wir können nicht dauerhaft wider unseren Chronotyp handeln», ist Roenneberg überzeugt. Während frühe Chronotypen eher am Wochenende auffallen, wenn sie auf einer Party gegen 22 Uhr gähnend inmitten fröhlich feiernder Gäste stehen, schrecken Eulen während der Woche hoch, wenn der Wecker zur Pflicht ruft. Selbst moderate Spätaufsteher erwerben in der Woche ein täglich grösser werdendes Schlafdefizit, das sie erst am Wochenende wegschlafen können. Ganze acht Prozent der Menschen zeigen an Werktagen und am Wochenende den gleichen Schlafrhythmus. Chronobiologisch ausgedrückt: «Drei Viertel der Bevölkerung häuft während der Woche ein enormes Schlafdefizit an», sagt Roenneberg. Dieser Schlafentzug macht zwar nicht unbedingt krank, aber vergesslich.

Schlafforscher sind seit kurzem einem subtilen Zusammenhang zwischen Tagesrhythmus, Schlaf und Lernfähigkeit auf der Spur. Wer müde ist, lernt schlechter – das hat jeder erlebt. Dazu kommt, dass bestimmte Tiefschlafphasen offenbar unabdingbar sind, um komplexe Lerninhalte im Gedächtnis zu behalten. Tagsüber lauscht das aufmerksame Gehirn der Aussenwelt, im Schlaf kommuniziert die Grosshirnrinde eher mit sich selbst, um das Erlebte und zwischengespeicherte dauerhaft in neuronale Netze einzubinden. Das Gehirn lernt sozusagen erst im Schlaf. «Gedächtnis-Konsolidierung» nennen Schlafforscher diesen Vorgang, der verstärkt erst am Ende der Nacht einsetzt. Die neuen Französisch-Vokabeln, die frisch gelernte Chopin-Etüde und die ersten Samba-Schritte konsolidieren sich im Hirn nachweislich erst im letzten Schlafdrittel. Zu Beginn der Nacht erledigt das Gehirn zunächst überlebenswichtige Aufgaben. Raubt man Probanden in Versuchen späte Schlafphasen, so können sie am Vortag Eingeübtes um fast ein Drittel schlechter als Ausgeschlafene.

«Die biologischen Voraussetzungen für das Lernen von komplexen Inhalten sind für viele Schüler nicht gegeben», folgert Roenneberg. Denn ausgerechnet Heranwachsende sind hormonell bedingt eher Langschläfer. Wächst bei ihnen während der Woche das Schlafdefizit, kann sich das direkt auf schulische Leistungen auswirken. Ob schlechte Schulleistungen bei Nachteulen häufiger auftreten, müsste laut Roenneberg dringend erforscht werden. Leider würden diese «hochbrisanten» Zusammenhänge von Politikern und der Forschungsförderung bisher nicht ernst genommen: «Das dämmert denen gerade erst.» Von chronobiologischer Ignoranz kann auch Anna Wirz-Justice ein Lied singen. Bei der Verleihung des Wissenschaftspreises der Stadt Basel hatte sie kürzlich Gelegenheit, dem Regierungsrat den Zusammenhang von erholsamem Schlaf und Lernen nahe zu bringen. Ihre Forderung: «Der Schulbeginn in der Schweiz sollte mindestens um eine halbe Stunde verschoben werden.» Das werde zwar «amüsiert beklatscht», so Wirz-Justice, aber ernst nehme das bisher kaum einer.

Den Grund glaubt der Amerikaner David Dinges zu kennen: «Das goldene Zeitalter der Schlafforschung beginnt gerade erst.» Für den Mediziner der Universität von Pennsylvania bewegt sich das Feld wissenschaftlich derzeit so atemberaubend schnell, dass «nur wenige Forscher überhaupt Zeit finden, Bücher darüber zu schreiben». Tatsächlich ist die Flut der Fachveröffentlichungen immens. Erst im Februar hat etwa Fliegenforscher Shaw im Journal of Biological Rhythms eine überraschende Entdeckung beschrieben. Danach überleben Fliegen längere Phasen von Schlaflosigkeit, wenn ihr Körper vor dem Schlafentzug leicht erwärmt wird. Einer solch engen Kopplung von Wärmeregulation und Schlaf sind die Basler Schlafforscherin und ihr Kollege Kurt Kräuchli beim Menschen seit Jahren auf der Spur. Im Schlaflabor hielten sie Probanden dauerhaft bei konstantem Dämmerlicht im Bett, sodass sich die inneren Uhren nicht am Licht orientieren konnten. Wenn die Forscher verkündeten, es sei nun Abend und die Probanden könnten bald schlafen, so beobachteten sie etwas Seltsames: Zwei Stunden vor dem Einschlafen erwärmten sich Hände und Füsse der Versuchsschläfer. Der Grund liegt darin, dass die Körperkerntemperatur absinkt und über Gefässdehnungen in den Extremitäten Wärme abgestrahlt wird.

Mehr Licht!

«Wenn sich die Blutgefässe in Händen und Füssen erweitern, geht das mit einer steigenden Schlafbereitschaft einher», sagt Wirz-Justice über den unerwarteten Zusammenhang zwischen Hitzefluss und Müdigkeit. Sind kalte Füsse also Schlafbremsen? Zumindest Camper wissen, wie schwer sich draussen mit kalten Füssen schlafen lässt. Die Schweizer fanden bei Patienten mit peripheren Durchblutungsstörungen inzwischen gehäuft «selektive Einschlafstörungen». Demnächst sollen Studien klären, ob ältere Menschen schlechter einschlafen, weil sie sehr häufig an Durchblutungsstörungen leiden. «Eine Bettflasche oder ein warmes Bad wäre dann vielleicht ein einfaches Mittel, die Einschlafbereitschaft zu fördern», sagt Wirz-Justice.

Mehr natürliches Licht! So lautet der wohl wichtigste Ratschlag der Chronobiologen für erholsamen Schlaf. Viele Menschen leben 16 Stunden am Tag in Kunstlicht – am Frühstückstisch, in der Schule, im Büro, beim Lesen im Bett. Weil die Lichtstärke einer Glühbirne aber lediglich der Dämmerung entspricht, schaltet die innere Uhr gar nie richtig auf «Tag». Entsprechend schwer fällt es dann, abends auf «Nacht» umzuschalten. Menschen, die im Freien arbeiten, klagen viel seltener über Einschlafstörungen. Schon wer eine Viertelstunde bei bedecktem Himmel auf den Bus wartet, bekommt viermal mehr Licht ab als während acht Stunden Kunstlicht-Beleuchtung. Allerdings reicht es nicht, nur mal kurz aus dem Fenster zu blicken: Der Körper braucht Oberlicht. So lernen auch morgenmüde Schüler besser, wenn sie in der Pause nach draussen dürfen. Roenneberg hat eine Idee, wie man auch dösenden Berufspendlern und Nachteulen zu mehr Tagesfrische und Nachtruhe verhelfen könnte: «Man sollte Autos und S-Bahnen nur noch mit gläsernen Dächern bauen.» Das wäre das genaue Gegenteil von Edisons Vision einer Kunstlicht-Gesellschaft.

Bereich: Forschung NachtaktivitätSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin